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Jun´16

Hirschbichlkamm

Auf Messers Schneide

Hirschbichlkamm. So nennt sich eine gratige Bergkette zwischen Hirschbichl und Hochgscheid südlich der Reiteralm. Auf ihm verläuft die Grenze zwischen Salzburg und Bayern.

Am Abend des 09.06. sitzen Max und ich auf der Terasse und trinken gemütlich noch ein paar Halbe. Unser Vorhaben am nächsten Tag, die direkte Südkante am Großen Mühlsturzhorn zu klettern wird immer unwahrscheinlicher angesichts des anhaltenden Dauerregens um Mitternacht. Also die Alternative aus dem berühmt-berüchtigten Zeller Führer:

Die Hirschbichlkammüberschreitung. Wem das jetzt nichts sagt, braucht sich nicht zu schämen, wahrscheinlich sind die Begehungen in einem Jahr an einer Hand abzuzählen. Und wir werden auch bald erfahren warum.

Zitat M. Zeller:”Wer ein mühevolles Ansteigen nicht scheut, sowie das streckenweise sehr brüchige Gestein zu behandeln versteht, mag die landschaftlich wirklich großartige Gratwanderung mit dem steten Blick auf die nahen Südabstürze der Reiter Alpe ausführen.”

Am nächsten Tag brechen wir mit den Radln vom Hintersee auf und lassen sie kurz hinter der Engert-Holzstube stehen, der Beginn des Schaflsteigs an dem wir später glücklich sein werden auf unsere treuen Drahtesel zu stoßen.

Weiter geht es noch harmlos durchs Klausbachtal bis zum Hirschbichl. Ab hier beginnt die Wegsuche und wir verlassen die uns vertrauten Gefilde. Über einen Gamssteig gelangen wir mühsam auf den Hirschbichlkopf, den ersten von insgesamt 7 Gipfel und finden schnell einen Grenzstein.

Diese werden zu Wegweisern auf dem ersten Abschnitt und so kommen wir schnell voran. Bald schon finden wir sogar ausgeschnittene Latschengassen. Das Gestein, Ramsaudolomit genannt, zeigt bald seinen Charakter und so gilt es abgerutschte Wegstücke geschickt mit Hilfe von Latschen zu überwinden. Nicht der letzte Griff in die Latschen an diesem Tag, aber noch sind wir ahnungslos. Kurz vor unserem ersten Zwischenziel, dem Sulzenstein erklingen Stimmen vor uns. Was denn, etwa andere Aspiranten für diese seltene Bergfahrt? Konkurrenz? Wie sich herausstellt sind es Einheimische die nur bis zum Sulzenstein wollen. Als der Älteste von unserem Vorhaben erfährt, warnt er uns. Ein riesiger Bröslhaufen läge vor uns. Er kennt die Tour und wünscht uns alles Gute und „Berg heil“. Jung, dynamisch und furchtlos, von solchen Worten wollen wir uns nicht verunsichern lassen und so machen wir uns auf den Weg zu den ersten Klettereien. Eine Rinne gilt es zu ersteigen und nach einigen Metern wollen wir unseren Augen nicht trauen, Bohrhaken. Schnell fällt der Begriff Modetour, haben wir hier ja noch nicht mal das Seil ausgepackt, lächerlich. Doch es bleiben die Einzigen. Nach der Rinne steilt sich die Wand auf und wir suchen die logischste Linie und beginnen mit Wandkletterei in unangenehmen Fels. Brüchigst und unzuverlässig gestaltet sich die Beschaffenheit, hier will jeder Griff und Tritt wohl überlegt sein. Nach diesem Stück erreichen wir endlich den Beginn des Grates – aber was ist das? Ein Grat wie er spitzer nicht sein könnte. Aus diesem Fels? Wie soll man den überqueren. Ein Blick in den Zellerführer werfen noch mehr Zweifel auf. Von „rittlings“ ist hier die Rede. Hier legen wir jetzt das Seil an und tatsächlich, wir reiten den Grat. Es bröselt und wackelt unter uns aber wir passieren.

Der weitere Verlauf des Kamms enthält einfach zu viele denkwürdige Kletterstellen, um alle umfassend zu beschreiben und so fasse ich zusammen: Viele abschreckend erscheinende Passagen ließen sich dann doch ganz passabel meistern, langsam und mit einem etwas ungutem Gefühl, aber immerhin. Die Absicherungen bestanden fast ausschließlich aus Latschen. Auch ein in der Erde vorgefundener Zimmermannsnagel wurde dankbar der Sicherungsklette hinzugefügt. Max bewies sein Können, als er einen Haken für den Stand in diesen Bruch trieb. Er gab die nötige Sicherheit, als es in eine Schotterrinne zu springen und abzufahren galt. Für den Nachkommenden musste es wieder eine Latsche tun.

Nach schier endlosen Metern in diesem losen Gestein erreichen wir nach Leimbichlhorn, Gernhorn, Drei Jäger und Steinerne Sennerin die Crux der Tour: Die Südwand der Ameisennockenköpfe. Schon lange betrachten wir diese abweisende Wand mit fragendem Blick und rätseln über die Umgehung dieser Wand.

Der Zellerführe zerstreut mal wieder alle Zweifel. Durch die Wand lautet die Anweisung. Also gut, der Weg des geringsten Widerstands ist schnell ausgemacht und ein zurückgelassener Haken im nassen Einstiegskamin gibt dann noch die letzte Sicherheit. Hier will ordentlich geklettert werden. Max übernimmt wieder die Rolle des Vorsteigers und schafft es sogar noch einen Haken in den Fels zu treiben, die Nächsten freuen sich bestimmt.

Max verschwindet aus dem Blickfeld und nach schier endlosem Warten kommt es: “Stand!”. Ich kämpfe mich in den abweisenden Kamin und da kommt die böse Überraschung. Max kann das Seil nich weiter einziehen, da es droht einen Felsen, der wie ein Damoklesschwert über mir hängt, auf mich nieder zu schmeißen. Ich drücke mich umständlich in die hinteste Ecke des Kamins und das Seil kann weiter eingezogen werden. Und der Fels bleibt liegen, manchmal braucht es auch etwas Bergsteigerglück. Aus dem Kamin herausen bin ich schnell am Stand, ein Felssporn mit Schlinge.

Die zweite Seillänge erweist sich sogar als Genusskletterei in festem Fels mit Durchschlupf am Ende durch einen Kamin mit Klemmblock. Damit sind die größten Schwierigkeiten des Kamms hinter uns und der südliche Ameisennockenkopf gehört uns. Der Weiterweg gestaltet sich nochmal als interessant und die einfachste Linie muss immer wieder gesucht werden. Vom nördlichen Gipfel geht es dann eine Rinne abwärts bei der oft in die Latschen gegriffen werden muss. Vor dem Hirschbichlkamm ist nach dem Hirschbichlkamm.

Unten angekommen suchen wir uns noch einen Weg durch die Latschen und erreichen endlich wieder uns bekanntes Gelände. Die Südwände von Stadel- und Mühlsturzhorn liegen vor uns und ein kurzer aber schon mühsamer Gegenanstieg bringt uns zum Schaflsteig. Endlich trauen wir uns am Ende aller Strapazen das mitgeschleppte Gipfelbier zu öffnen. Ich bin mir sicher, so gut schmeckt das Bier nur selten, wissen wir doch, dass uns die Radl am Ende des Steigs uns schnell zum Auto bringen werden und diese einmalige, denkwürdige und lehrreiche Bergfahrt Einzug in unsere Tourenbücher findet.

Marco Schneider